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Epilog

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EINsamer-wANDERER's avatar
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Bevor Thor den Regenbogen bestieg, dessen Weg ihn zurück nach Asgard führen würde, sah er noch einmal zurück. Das Schloss, ja das ganze Land glich einem einzigen Trümmerhaufen. Die Kraft, die Loki und er während ihres Kampfes freigesetzt hatten, war so gewaltig gewesen, dass fast kein Stein mehr auf dem anderen geblieben war. Er hob den Hammer, der in seiner kräftigen Hand leicht wie eine Feder wog. Natürlich hatte Mjölnir seine volle Kraft nur in seiner Hand entfaltet. Denn Thor war der einzig rechtmäßige Besitzer des Zermalmers. Weder Geirröd noch Loki hätten mit ihm richtig umgehen können. Dass sie es gewagt hatten, ihn zu entwenden, hatte sie ihrer gerechten Strafe zugeführt.
Nachdenklich blickte er zum Himmel. Warum dann fühlte er sich nicht wie ein Sieger? Er hatte Loki, das Übel der Welt, besiegt und die Menschen sowie die Asen vor seinen Untaten bewahrt. Warum konnte er nicht triumphieren?
Die Antwort darauf kannte er selbst nur zu gut. Er hatte Loki nicht besiegt. Dieser hatte sich selbst gerichtet. Und damit vielleicht sogar einen Sieg über den Donnergott erlangt. Doch dies war es nicht, was Thor innerlich aufwühlte; es waren Lokis letzte Worte. So schmerzlich es auch für ihn war, so musste der Donnergott sich eines eingestehen: Dass Loki und er nicht so verschieden waren, wie er zuerst gedacht hatte.
Mit einem Seufzen setzte er den Fuß auf den Regenbogen und machte sich an den weiten Weg in die Welt der Götter.

Die letzten Tage waren für den kleinen Sven die schlimmsten gewesen, die er je erlebt hatte. Gewaltige Stürme, Erdbeben und das Ausbrechen eines nahen Vulkans hatten schlimm gewütet und alles verwüstet. Doch als er nun vorsichtig den Kopf aus dem Erdloch steckte, in dass seine Familie und er geflüchtet waren, lag die Welt friedlich in hellem Sonnenschein. Weit und breit waren die Schäden zwar zu sehen, doch endlich hatten sich die schlimmen Kräfte der Natur wieder beruhigt.
Er stieg ganz aus dem Loch, gefolgt von seiner Mutter und der alten Heidrun. Die Alte, die sonst durch nichts zu erschüttern war und für alles sofort eine alte Geschichte von den Göttern auf Lager hatte, war jedoch angesichts der Urgewalten ängstlich verstummt.
"Die Götter waren siegreich" brabbelte sie nun jedoch wieder munter drauf los, ohne das genervte Seufzen von Svens Mutter zur Kenntnis zu nehmen. "Seht doch, die Sonne strahlt, der lichte Balder schenkt uns wieder seine Gunst. Thor hat die Feinde in die Flucht geschlagen."
Svens Mutter verdrehte die Augen. "Mutter, ich bitte dich, hör mit diesen Ammenmärchen auf." Bei diesen Worten begehrte Heidrun auf.
"Was heißt hier Ammenmärchen? Es ist so, wie ich es dir sagte! Die Welt war bedroht und Thor hat uns gerettet. So wie er es immer macht; schließlich ist er der Gott des Donners! Es war ein harter Kampf, wie man hören konnte."
Nun wurde es ihrer Tochter zu bunt. Die Anspannungen und Ängste der letzten Tage sorgten dafür, dass sie endgültig die Beherrschung verlor.
"Hör mir auf mit deinen Göttern!" keifte sie. "Dein mächtiger Thor hat uns also gerettet, ja? Sieh dich doch mal um!" Sie schwenkte die Arme im Kreis. "Blitz und Feuer haben Verwüstungen ohne Gleichen angerichtet! Selbst wenn es so ist, wie du sagst, dass Thor mit seiner Kraft uns gerettet hat, so möchte ich nicht wissen, wie viele Menschen in den letzten Tagen durch die göttliche Macht deines Donnergottes ums Leben gekommen sind! Er kämpft mit den Blitzen, die er den Feinden der Menschen entgegen schleudert, ohne darauf zu achten, dass dadurch auch die Menschenwelt etwas abbekommt! Und Loki, der sogenannte Feuergott! Mit seinem Feuer verbrennt er den fruchtbaren Boden und auch die Bewohner dieser Welt! Wenn die hohen Mächtigen sich schon bekriegen müssen, so sollten sie lieber diese unschuldige Welt raus halten!"
Die alte Heidrun starrte ihre Tochter ungläubig an. Sven hatte sich in sichere Entfernung begeben und beobachtete die Auseinandersetzung von einem Baumstumpf aus. Gerade in dem Moment versetzte Heidrun ihrer Tochter ganz plötzlich eine schallende Ohrfeige.
"Solche Worte und derartige Lästerungen gegen die Götter sind es, die den Unholden ihre Stärke verleihen!" keifte sie los. "Wenn jeder auf der Welt voll und ganz hinter jenen stehen würde, die uns Schutz bieten, so hätte es Odin nicht so schwer... Es heißt, dass Nagelfar, das Schiff der Toten, welches einst losfährt, wenn der letzte Tag anbricht, erschaffen ward durch der Menschen Schuld. Und es sind eben solche Aussagen wie deine, die den Schergen dabei helfen." Sie drehte den Kopf und blickte nun traurig in den azurblauen Himmel. "Nun, eines Tages wird es wohl so weit sein. Dann wird die Menschheit für ihre Taten gerichtet werden. Doch diesmal wurde das Schicksal abgewandt, Thor sei Dank."

"Lasst mich allein!", sagte Hel im herrischen Tonfall zu ihren Leibwächtern. Sie hatte Mühe ihre ruhige Miene aufrechtzuerhalten. Als die Tür krachend ins Schloss fiel, versank sie schluchzend ihren Kopf in die Arme. Loki war tot. Sie hätte es kommen sehen müssen, doch dann schüttelte sie den Kopf. Loki war nicht tot. Immer hatte er ob nun durch Weitsicht oder unverschämtes Glück überlebt. Thor konnte unmöglich Loki getötet haben. Doch all die Ausflüchte waren so haltlos, dass Hel sie nicht einmal selbst glauben wollte. In weiter Ferne glaubte sie ein Klagelied des Fenriswolfs ihres Halbbruders zu hören. Auch er trauerte um den Verlust seines geliebten Vaters. Sie beide würden wahrscheinlich die einzigen sein, die um ihn trauern würden. Kreischend schlug sie gegen das Geländer der Brüstung. Ihre Fäuste hinterließen kleine Krater im eisigen Stein. Loki war tot. Immer hatte sie im Exil gelebt und die Asen gewähren lassen, doch nun sann sie auf Rache für den verstorbenen Vater. Sie rauschte aus dem Raum. Es gab viel zu planen. Sie hatte einen Krieg zu führen. Sie würde die Armee der Toten gegen Asgard schicken und an ihrer Seite würde ein ebenso rachsüchtiger Fenriswolf sein, der nach Odins Blut knurren würde.

In Asgard hatte Odin die Götter erneut um sich gesammelt. Gespannte Erwartung machte sich breit. Alle Augenpaare richteten sich auf den erhabenen Göttervater, der auf seinem Thron soeben einem seiner beiden Raben lauschte, welcher auf seiner Schulter ruhte. Dann erhob sich der pechschwarze Vogel plötzlich und flatterte krächzend davon. Odin erhob sich, und erwartungsvolle Stille trat im Saal ein.
"Hugin hat mir soeben berichtet, dass der Mjölnir wieder in Thors Besitz ist. Mein Sohn ist bereits wieder auf dem Weg nach Asgard."
Laute Jubel- und Beifallrufe erfüllten die Halle, und alle begannen zu feiern. Nur Heimdall, der helläugige Wächter von Asgard, erlangte sich mühsam Gehör.
"Und was ist mit Loki?" fragte er. "Und die Erschütterungen, die den Weltenbaum durchgeschüttelt haben, so dass es in allen neun Welten zu spüren gewesen ist? Was war das?" Odin schloss sein Auge und senkte für einen Moment den Kopf.
"Es gab einen Kampf" sagte er endlich, und seine Stimme klang seltsam, als würde er trauern. "Thor und Loki haben sich ein nie dagewesenes Duell geliefert. Die Kraft der Beiden hat die gesamte Schöpfung erschüttert. Letztendlich war Loki dem Donnergott jedoch unterlegen und schließlich den Tod gesucht."
Ein ungläubiges Raunen erhob sich in der Halle.
"Loki ist tot?" fragte Freyja.
"Ja" war die schlichte Antwort Odins.
"Dann war ER es?" rief Tyr, der Kriegsgott. "Thor hat Loki gehasst, aber er hätte ihn nie getötet. Außer, wenn Loki ihm etwas wegnahm, was als Teil seiner selbst gilt. Der Hammer..."
"Natürlich!" schrie Freyja. "Loki hat den Hammer geraubt! Er war der Einzige, der Zutritt zu Asgard hatte und der Einzige unter uns, dem so eine Tat zuzutrauen wäre!"
"Er ist tot..." stammelte Tyr fassungslos. "Der Lügner und Betrüger, dieser Unheilstifter, er ist nicht mehr."
Lautes Jubelgeschrei erfüllte die Halle, doch da hob Odin plötzlich die Hand. "RUHE!" Gebot er mit schneidender Stimme, und alle verstummten sofort ängstlich. Odin stand auf, und sein helles Auge blitzte zornig auf.
"Loki war einer von uns!" wetterte er. "Es mag sein, dass viele von Euch ihn nicht mochten. Doch er hat uns schon oft aus schwierigen Situationen geholfen. Loki hat uns gezeigt, wie man in schwierigen Situationen zu denken und zu handeln hat. Sein kluger Kopf ist ein schwerer Verlust. Dies ist kein Grund zum Feiern.
Und nun will ich darüber nichts mehr hören! Freuen wir uns, dass Thor es geschafft hat und der Mjölnir wieder nach Asgard zurückkehrt."

Im Stall von Asgard hörte Slepnir die Jubelstürme der Asen unter denen ganz Asgard erbebte. Er hatte gehört was passiert war. Doch Sleipnir hatte seinen Vater kaum gekannt, weshalb sich seine Trauer in Grenzen hielt. Alles was er von Loki wusste, waren die wüsten Geschichten die die Asen im Stall erzählt hatten und die zu unglaublich klangen um wahr zu sein. Dass Loki sein ganzes Leben lang ein Verräter, Betrüger und Scharlatan gewesen war, machte es für Sleipnir unglaubwürdig, dass er und Loki verwandt waren. Er glaubte eher von Loki gefunden worden zu sein. Sleipnir war fest davon überzeugt ein Findelkind zu sein, denn wie konnte es angehen, dass dann all seine Geschwister solche Schurken waren. Vom bösartigen Fenriswolf über die hinterhältige Midgardschlange bis hin zur albtraumhaften Hel die über eine Armee der Toten verfügte. Er hatte nichts mit diesen Leuten gemeinsam. Nein, er musst adoptiert gewesen sein. Wie sonst konnte es angehen, dass er von allen Asen geschätzt und respektiert wurde, wo doch Lokis Kinder allesamt geächtet und verfolgt wurden?

Surtur, der Feuerriese, brüllte vor Zorn, und die Flammen in seiner Halle loderten hell auf in seiner Wut.
"Dieser Narr..." knurrte er, "dieser kleine, nichtsnutzige sentimentale Narr!" er schlug mit der Faust auf die Armlehne seines Thrones, dass die Halle erzitterte. "Loki... ich hätte dir etwas mehr zugetraut, als Gott des Feuers. Nun muss ich die Sache wohl doch selbst in die Hand nehmen..."
Und damit versank er in finsteres Brüten...

Die Midgardschlange hatte sich aufgrund der Gewalten über ihr immer weiter in die Meerestiefe zurückgezogen. Jetzt lag sie in der Schwärze des Ozeans und lauschte der Welt, die im Angesicht des Kampfes der Götter den Atem angehalten hatte. Und wenn ihr Gehör sich nicht getäuscht hatte, so hatte Loki verloren und war nun tot. Sie zischelte belustigt. Wo Loki doch immer geglaubt hatte, er sei der Letzte der lacht. Ihr Vater hatte sich noch nie besonders für sie oder einen anderen seiner Sprößlinge interessiert. Jedesmal wenn die Asen sie gejagt hatten, war Loki in irgendeinerweise darin verwickelt gewesen. So wie an jenem verfluchte Tag, als Odin sie - die Midgardschlange - ins Meer geworfen hatte. Sie hatte genau gesehen welche Genugtung es Loki bereitet hatte, zu zusehen. Lokis Tod war für sie kein Verlust, doch noch ehe sie weiternachgrübeln konnte, bemerkte sie ein unvorsichtiges Fischerboot, wie es an der Meeresoberfläche schwamm und ihr Magen darauf hungrig grummelte. Sie würde sich wieder ein paar Menschen einverleiben, da an den Fischen hier unten zu wenig dran war.

In der Menschenwelt, fernab all dieser Ereignisse, gab es geschäftiges Treiben in einer Gaststätte. Durch den Sturm und all die anderen Naturgewalten hatten viele Reisende dort Unterschlupf gesucht.
Die Frau des Wirtes schaute auf, als der nächste sein Zimmer verlangte. Ihre Miene hellte sich auf. "Schön Euch wiederzusehen. Ihr wart aber schon lange nicht mehr hier gewesen."
"Stimmt", sagte die Frau.
Ihr Blick wurde magisch zur Seite gezogen, wo sie auf dem Dunkel des Treppengeländers eine kleine Gestalt ausmachte. Sie krallte ihre Hände an den Stäben des Geländers fest, als wenn sie im Kerker sitzen würde. Es war die kranke Tochter des Wirtes. Sie würde in wenigen Jahren sterben, ohne je die Welt außerhalb dieser Wände gesehen zu haben. So freute sie sich immer auf die Gäste und fragte sie über die Welt außerhalb ihres kleinen Reiches aus.
Als sich die Blicke der beiden trafen, rannte sie sofort auf die Frau los. Sie kniete sich nieder, um die kleine Gestalt besser zu umarmen.
"Ich hab´ dich so vermisst", sagte sie mit feucht-glitzernden Augen.
"Ich dich auch", sagte Loki. "Komm. Es gibt viel zu erzählen. Weißt du, vor kurzem musste ich für jemanden etwas erledigen, das war vielleicht ein Theater. Du glaubst es nicht. Ich bin mit jemanden gereist der so grausam dumm und ungebildet war, dass ..."

The End
So hier noch der Epilog.
Ich hoffe ihr hattet ebenso viel Spaß beim Lesen, wie wir beim Schreiben.

Wer mehr von den alten Göttern will: Ikol und die Geschichte der Silberzunge fav.me/d56g02a
Loki kommt ebenso beim Fabula OCT auf: einsamer-wanderer.deviantart.c…
Previous:fav.me/d4obp78
First:fav.me/d3c4ft1

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Comments3
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Kite-7's avatar
Es sind zwar hier und da ein paar kleinere Schwächen und Fehler drin (wie zB. bei Familienzwistigkeiten... : "... bestielte irgendwelche Leute "), aber die Geschichte ist an sich echt gut gelungen!
Spannend und gerade zum Ende hin immer wieder überraschend. Obwohl ich das Ende an sich schon fast genauso erwartet hatte :)