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Die wahre Bedeutung des Verlustes

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"Du kleiner, mieser..." Der letzte Teil des Satzes ging in einem wütenden Knurren unter, während Thor seinen Kontrahenten an der Kehle festhielt und ihn durchschüttelte. Loki seinerseits jedoch hatte sich in den Haaren des Donnergottes festgekrallt und versetzte ihm eine klatschende Ohrfeige nach der anderen.
"Na, was? Du bärtiger, scheußlicher und dämlicher Tölpel!" antwortete Loki röchelnd. Langsam nahm sein Gesicht eine ungesunde, dunkelrote Farbe an, die sich immer mehr in ein Blau verwandelte. Thor ballte seine Rechte und holte aus. Doch bevor er Loki einen alles vernichtenden Schlag versetzen konnte, machte es plötzlich *PUFF!* und der Feuergott war aus Thors eisernem Griff verschwunden. Stattdessen summte eine dicke, fette Fleischfliege zwischen den Fingern Thors hindurch. "Na warte!" brüllte dieser vor Zorn auf und stürzte dem Insekt nach. Doch er verfehlte es und krachte mit solcher Wucht gegen die gegenüberliegende Wand der Kutschenkabine, dass das Holz splitterte.
Plötzlich ging ein schwerer Ruck durch das Fahrzeug. Erneut machte es *PUFF!* und plötzlich saß Loki wieder in seiner Knabengestalt, sichtlich verwirrt da. Die Kutsche war stehen geblieben. Thor und Loki wollten gerade fragen, was dies zu bedeuten habe, da flog plötzlich die Tür auf und sie vernahmen die Stimme des Kutschers: "Hier ist Endstation, ihr verdammten Rabauken! Ich lasse mir von euch doch nicht meine schöne Kutsche demolieren! Mir ist egal, was Hel gesagt hat! Raus!"
Thor und Loki blickten sich irritiert an, rührten sich jedoch nicht. Da wurden sie wie von einer unsichtbaren Hand gepackt und aus der Kutsche geschleudert. "RAUS, HAB ICH GESAGT!" erklang die keifende Stimme des Kutschers. Dann flog die Tür zu, das Fahrzeug setzte sich wieder in Bewegung und verschwand im trüben Dämmerlicht.
Die beiden Ausgestoßenen blickten der Kutsche noch eine geraume Weile nach, dann erst nahmen sie ihre Umgebung in Augenschein.
Das Erste, was sie sofort feststellten und nicht nur vermuteten, war, dass es Winter war. In einem trüben Zwielicht war das schmutzige Weiß, welches den Boden bedeckte, zu sehen soweit das Auge reichte. Ansonsten konnten sie nicht viel sehen, denn sie befanden sich in einer kargen, trostlosen Landschaft, einer weitflächigen Ebene, die nur dann und wann von ein paar vereinzelt stehenden abgestorbenen, verkrüppelten Bäumen durchbrochen war. Wohin sie auch blickten, nirgends war irgendwas Markantes zu sehen.
Das Zweite, was sie bemerkten, war die Stille. Nichts rührte sich, nur ab und zu ein leichtes Heulen des Windes, wenn dieser über die Ebene dahinglitt. Jedoch kein Tierlaut, nichts. Nichts deutete auf ein lebendes Wesen in der Nähe hin.
"Na toll..." knurrte Thor und blitzte seinen Gefährten mordlustig an. "Ein schöner Schlamassel, in den du uns da reingebracht hast, vielen Dank auch!"
Loki öffnete in gespielter Entrüstung den Mund. "Wer, was, iiiiiiiich???" antwortete er kreischend. "Wer ist denn schuld, eh? Hättest du fetter, dämlicher Idiot etwas besser Acht gegeben und die Kutsche nicht demoliert, dann würden wir jetzt immer noch drin sitzen!" Er plusterte sich auf, augenscheinlich, um Thor nachzuäffen. "Muuuaaaaaahhh, ich Thor, ich stark, ich dämlich! Uh uh uh uh!" Dabei schlug er sich mit den Händen auf den Kopf und sprang von einem Bein zum Anderen.
Da plötzlich, es war wie ein Blitz, packte Thor ihn und drückte ihm mit Macht die Kehle zu. Er zog Loki ganz dicht zu sich heran und ballte die Faust. "Es ist die letzte Warnung!" grollte er und seine Stimme klang dem bedrohlichen Donnern eines schweren Sommergewitters gleich, während in seinen Augen kleine blaue Blitze aufzuckten. "Ich könnte dich jetzt mit einem Schlag auslöschen... mit einem einzigen Wisch wärst du aus der Geschichte gefegt. Ich könnte dich hinaus ins Nichts werfen, und du weißt, dass ich das kann. Und glaub mir, ich bin kurz davor dies zu tun. Mir wäre es selbst egal, was Odin dazu sagt. Und wenn er mich zu Nidhögger nach Nastrand schickt, wäre es mir egal. Ich würde mit dem befriedigten Gefühl dort hingehen, dich aus den Neun Welten geworfen zu haben und das Weltall von einer der schlimmsten Plagen befreit zu haben, die es je gegeben hat. Also noch ein Wort, noch ein winziges Wort, und ich vergesse sogar meinen Hammer, Loki. Magst du dich noch so sehr in einen starken Krieger verwandeln können, ich würde dich besiegen. Dann bist du Geschichte!"
Und zum ersten Mal wahrscheinlich seit Anbeginn der Zeit, konnte man in Lokis Augen die furchtbare Erkenntnis sehen, dass er wirklich kurz vor seinem Tod stand. Thor drückte noch einmal fest zu, um seine Drohung noch zu unterstreichen, dann warf er Loki wie eine Fliege von sich, so dass dieser beinahe fünfzig Fuß weit flog. Wankend und nach Luft schnappend rappelte er sich auf. Sich mit der rechten Hand den Hals reibend kam er finster dreinblickend näher.
"Wo zum Henker sind wir hier?" krächzte er. Das Sprechen schien ihm scheinbar schwer zu fallen. Mit grimmiger Genugtuung stellte Thor fest, dass der Feuergott sich nicht näher als zehn Meter an ihn heran wagte.
"Ich weiß es nicht" antwortete er. "Aber ich habe so ein Gefühl, als wäre ich hier schon mal gewesen."
"Seltsam..." meinte Loki, "mir geht es ähnlich. Wo mögen wir sein? Nifelheim ist es auf jeden Fall nicht, obgleich es ähnlich trostlos aussieht wie dort..."
"Ich denke, wir sollten uns einfach mal in eine bestimmte Richtung bewegen" schlug Thor vor. "Vielleicht finden wir ja irgendwo einen Unterschlupf. Hier im Freien zu bleiben ist wohl bei dieser Kälte keine gute Idee."
"Warum nicht?" fragte Loki spitz und grinste Thor schelmisch an. "Wir könnten doch zusammenrücken und uns gegenseitig wärmen, uns umarmen und kuscheln.... Jaaaaaaa, ist ja schon gut!" schrie er und trat sofort drei schnelle Schritte zurück, als Thor ein warnendes Knurren ertönen ließ. "Mensch, du verstehst aber auch gar keinen Spaß, hm?"
"Hör mit diesem Blödsinn auf" fuhr ihn Thor unwirsch an. "Überleg lieber, wo wir jetzt hingehen sollen."
Loki drehte sich einmal im Kreis, dann zuckte er mit den Schultern. "Ich denke, es ist egal, in welche Richtung wir gehen. Es sieht alles gleich aus, und man kann nicht einmal die Himmelsrichtung bestimmen. Wir sollten einfach mal unserem Glück vertrauen und los marschieren."
"Unserem Glück?" fragte Thor misstrauisch. "Denkst du nicht, dass du etwas zu optimistisch bist? So hold war uns das Glück bisher ja nun nicht gerade."
Loki legte den Kopf zur Seite und kniff ein Auge zu. "Ach, du siehst das ganze wieder mal total falsch, mein donnernder Freund. Das Glück war uns durchaus sehr gewogen! Oder wie erklärst du dir, dass wir den Klauen Nidhöggers entronnen sind, oder auch, dass ich Hels Prüfung bestanden habe? Zweifellos habe auch im ersten Fall ich einen nicht unerheblichen Beitrag geleistet, und es ist meiner Schläue zu verdanken, dass wir hier stehen. Ich sage jetzt, vertrau mir einfach mal, wir werden schon irgendwo ankommen."
Thor runzelte die Stirn. Loki und Vertrauen, zwei Dinge, die sich seiner Meinung nach überhaupt nicht vertrugen. Doch was sollte er sonst machen? Ihm blieb nur die Option, auf eigene Faust loszuziehen. Und auch wenn er es ungern zugab, er brauchte Loki. Sein Gesicht verfinsterte sich bei diesem Gedanken. Es gefiel ihm ganz und gar nicht, aber es war so: Odin hatte ihm den Feuergott nicht umsonst zur Seite gestellt.
"Na schön" seufzte er schließlich. "Geh voran, ich folge dir." Und schon hopste Loki leichtfüßig los, den bärtigen und missgestimmten Donnergott im Schlepptau.

Stunde um Stunde marschierten sie durch die Gegend, ohne dass sich die karge und unwirtliche Landschaft wirklich veränderte. Das Einzige, was sich änderte, war der Schnee. Nach einiger Zeit begann es nämlich, erst sanft, dann immer heftiger zu schneien. Bald waren sie von einem lautlosen, wirbelnden Chaos umgeben.
Längst schon hatte Thor die Orientierung verloren. Er hätte nicht mehr sagen können, ob sie etwa im Kreis liefen oder nicht. Er stapfte nur finster vor sich hinbrütend und beharrlich hinter Loki her, der scheinbar ganz gezielt wusste, wo er hin wollte.
Gerade wollte sich Thor lautstark darüber beschweren, als er in einiger Entfernung einen Lichtschein sah.
"Dort vorne scheint so etwas wie eine Siedlung zu sein" rief Loki ihm zu. Thor nickte nur stumm und blickte voraus. Durch das dichte Schneetreiben entdeckte er plötzlich einen Schatten, der sich ihnen zu nähern schien. Sofort hatte er die Hand am Schwertgriff, wusste er doch nicht, ob dort eine Bedrohung auf sie zukam.
Der Schatten entpuppte sich als eine kleine, gebeugte Gestalt, die in einen grauen Fetzen gehüllt war und wie gehetzt durch den Schnee stolperte. Als sie näher kam und die beiden Asen vor sich gewahrte, stutzte sie und ein Schreckensschrei war zu hören. Sofort machte die Gestalt kehrt und begann, wie von Panik getrieben davon zu hasten. Thor spurtete los und er hatte den Flüchtling schnell eingeholt. Es war ein Mensch, ein alter, hagerer Mann.
Ein Mensch? Da stieg in Thor eine Ahnung hoch: Sie waren in Midgard, der Welt der Menschen.
Als Thor den Alten berührte, schrie dieser in einem fort und schlug wie besessen um sich. Thor legte die Arme um ihn und hielt ihn solange fest, bis die Bemühungen erschlafften. Der Donnergott ließ ihn behutsam los, drehte ihn zu sich herum und blickte ihm freundlich in die Augen. „Hab keine Angst, mein Freund“ sagte er beruhigend, „wir werden dir nichts tun. Doch sag mir, was jagt dir denn einen solchen Schrecken ein?“
Der Alte keuchte und sah Thor aus weit aufgerissenen Augen an. „Ihr… Ihr seid doch auch einer von ihnen…“
„Von wem sprichst du?“ fragte Thor.
„Ihr… Ihr seid… so groß, fast so groß wie sie…“ Der Alte sah Thor ins Gesicht, doch sein Blick schien in weiter Ferne zu liegen. Vor seinem inneren Auge war er gerade ganz wo anders. Als Thor ihn an den Schultern fasste, zuckte er wie geschlagen zusammen und wimmerte. Der Donnerer schüttelte ihn sanft, bis der Alte ihn nun wirklich ansah.
„Was ist geschehen, Mann?“ fragte der Ase.
„Es sind die Riesen“ antwortete der Mann flüsternd und in seine Augen trat das pure Grauen. „Sie sind zu uns gekommen. Die Götter haben uns verlassen. Thor hat uns seinen Schutz entzogen…“Thor wollte gerade etwas entgegnen, doch da dröhnte im Hintergrund etwas, und als er sich umdrehte, sah er eine gewaltige Feuersäule in den Nachthimmel aufsteigen. Im Lichtschein des Feuers konnte er deutlich die plumpen, massigen Gestalten jener sehen, die er seit er denken konnte hasste und jagte. Der Alte hatte Recht behalten; es waren die Riesen.
Thor ließ den Mann los und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Sein Gesicht verfinsterte sich und er ballte die Faust. Das dreckige Thursenpack… Thursen, dies ist seit jeher eine Bezeichnung für jene vom Volk der Riesen. Die Unholde wussten scheinbar, dass der Verteidiger der Welt, denn dies war einer von Thors Beinamen, seiner mächtigen Waffe beraubt worden war. Denn mochten die Riesen den Donnergott und seinen Zorn auch fürchten, so war es Mjölnir, der Zermalmer, der Tausende und Abertausende von Riesenschädeln zerschmettert hatte und vor dem die Thursen am meisten zitterten. Doch nicht nur das. Der Hammer war ein Symbol für Fruchtbarkeit, seine Kraft spendete stets neuen Wachstum, sei es in der Pflanzenwelt oder auch bei den Menschen.
Und nicht zuletzt galt Thor als die Wahrheit im Leben, und Mjölnir, der Hammer, traf die Falschheit stets vernichtend und verhalf damit der Wahrheit des Lebens. Der Hammer war also ein Sinnbild für die Wahrheit, die Wirklichkeit der Welt.
Doch nun konnten sich die Schergen ungehindert in der Menschwelt ausbreiten, konnten die Sterblichen mit Lüge und Falschheit überschwemmen, und sie tyrannisieren und quälen sowie Unheil und Chaos in der Welt verbreiten. Das Schlimmste jedoch für den Donnerer war das, was der Alte gesagt hatte: Thor hat uns seinen Schutz entzogen… Thor presste die Zähne zusammen und stieß ein tiefes, unirdisches Grollen aus. Dann rannte er ohne Vorwarnung los.
Loki, der wie vom Blitz getroffen da stand, rief ihm noch verwirrt hinterher „He, wo willst du hin?“, doch Thor registrierte es nicht einmal. Das Feuer der Wut war in seiner göttlichen Brust entflammt, und auch ohne seinen Hammer würde er den Menschen und ihrer Welt, deren Schirmherr und Verteidiger er war, beistehen.
Da traf ihn ein neuer Gedanke wie ein Blitz und er griff in seine Tasche, aus der er einen schmalen, unscheinbaren Ledergürtel hervorzog. Dieser war, bis auf eine seltsame Rune an der Gürtelschließe unverziert. Mit grimmiger Entschlossenheit legte er das Utensil um seine Hüften, und als er den Gürtel schloss, durchströmte ihn plötzlich eine Welle von Stärke und unbändiger Entschlossenheit. Es war Megingiarder, der legendäre Stärkegürtel, der seine Kraft verdoppelte und diese niemals erlahmen ließ, denn die Rune an seiner Gürtelschnalle war die Rune ausdauernden Eifers. Da er sich in den letzten Tagen so sehr auf den Mjölnir konzentriert hatte, hatte er den Gürtel ganz vergessen. Doch nun sollte er seine Wirkung tun.
Sofort holte der Ase noch weiter aus und stürmte einer rasenden Gewitterwolke gleich über das Land. Als er sich dem Dorfe näherte wurde er keineswegs langsamer. Mit einem kurzen Blick fasste er die Situation, zählte die fünf Häuser, welche jedoch allesamt in Flammen standen. Auch die riesigen Gestalten der Thursen sah er, welche nun im Begriff waren, die Bewohner des Dorfes zu jagen und zu zerfetzen. Die Riesen waren gut doppelt so groß wie er und auch ihre Kraft war ihm nicht unbekannt. Dennoch kannte Thor keine Furcht, denn er hatte schon unzählige Kämpfe im Laufe der Jahrtausende gegen seine Feinde geführt, und Furcht war für den Donnergott ein Fremdwort. Ein metallisches scharfes Geräusch ertönte, als er das Breitschwert aus seiner Scheide zog und mit voller Geschwindigkeit mitten unter seine Feinde jagte.
Mit donnerndem Brüllen krachte er gegen den ersten Riesen und brachte diesen damit zu Fall, während das Schwert einen silbrigen Halbkreis beschrieb und somit einen weiteren Riesen köpfte. Dann wandte er sich um und stieß dem am Boden liegenden Riesen die Klinge bis zum Heft an die Brust. Noch bevor der Unhold sein Leben ausgehaucht hatte, war der Donnergott bereits weitergesprungen und hatte einen weiteren Gegner gefällt. Dies alles hatte nur etwa zwei Sekunden gedauert und schon lagen drei der gewaltigen Kolosse tot zu seinen Füßen. Einem weiteren heranstürmenden Gegner trat er die Beine weg und schlug ihm ebenfalls den Kopf ab, noch bevor er ganz auf dem Boden aufschlug. Der Ase war nun wie in einem Rausch und schlug auf alles ein, glich einem Berserker, jenen sagenumwobenen Kriegern von denen es hieß, sie wären unbesiegbar und unverwundbar. Bald schon hatte Thor ein halbes Dutzend seiner Gegner getötet.
Die Riesen waren nicht gerade für Klugheit bekannt, doch auch sie hatten sich endlich mal von ihrer Überraschung erholt und drangen nun in wilder Entschlossenheit auf den Donnergott ein. Thor stand da, einer festen Eiche gleich, über die ein entsetzlicher Sturm hereinbricht. Breitbeinig, um festen Halt zu haben, schwang er sein Schwert, welches tanzte und dabei ein todbringendes Lied sang.
Aber so schnell er auch um sich schlug, war er doch bald von mehreren Gegnern umzingelt, die gleichzeitig auf ihn losgingen. Dunkler Qualm von den Feuern ringsumher vernebelte ihm die Sicht und schließlich wurde er von einem gewaltigen Hieb getroffen, der ihn meterweit durch die Luft schleuderte. Krachend landete an einem Scheunentor, welches unter der Wucht seines Aufpralls zerbarst. Thor versuchte, die Schleier vor seinen Augen zu vertreiben, und griff verzweifelt um sich um sein Schwert zu ertasten, welches er verloren hatte, als er neben sich eine Bewegung gewahrte. Als er sich umsah, erblickte er das bleiche und schreckenverzerrte Gesicht einer jungen Frau, die sich hinter einen Holzstapel kauerte. In ihren Augen leuchtete nackte Todesangst und ein solches Entsetzen, wie der Ase es vorher noch nie gesehen hatte. Eine verzweifelte und wilde Entschlossenheit ergriffen von ihm Besitz und er stemmte sich hoch. Doch da drangen donnernden Schritte an sein Ohr, die sich rasch näherten. Mit unirdischem Gebrüll krallte sich einer der Riesen in den Holzstapel und warf damit nach dem Asen. Thor duckte sich instinktiv und rollte sich zur Seite. Er hörte den erstickten Aufschrei der Frau und als er aufblickte, gewahrte er zu seinem Entsetzen, dass der Riese auf sie aufmerksam geworden war. Schon beugte er sich mit einem zähnefletschenden Grinsen hinab und griff nach dem kleinen Menschenkind, um ihr das Leben auszuhauchen.
„NEIN!“ brüllte Thor, und seine donnernde Stimme übertönte das Tosen der Feuer. Mit einem einzigen Sprung warf er sich auf den Thursen und schlug mit bloßen Fäusten wie besessen auf ihn ein. Doch so gewaltig seine Kräfte auch waren, konnte er doch gegen die steinerne Härte des Riesenschädels nichts ausrichten. Ein mächtiger Schwinger packte ihn und fegte ihn wie eine Fliege davon, und ein weiteres Scheunentor zerbarst unter seinem Aufprall. Erneut kämpfte er gegen den Schwindel an und stemmte sich schwankend in die Höhe, wusste er doch, dass die Frau ohne seine Hilfe verloren war.
Doch als er aufblickte, erstarrte er. Der Schwung des Schlages hatte ihn mehr als zwanzig Meter davon getragen, und mit Entsetzen musste er sehen, wie der Riese die kreischende Frau an den Haaren packte und in die Höhe zerrte. Einen Moment lang baumelte sie schreiend und wild um sich schlagend an seinem Arm, bis der Unhold sie schließlich mit der anderen Pranke packte und mühelos wie einen Grashalm in zwei Teile riss. Das Schreien erstarb und der Riese warf sie achtlos fort. Fassungslos starrte Thor auf den toten Körper. Hätte ich meinen Hammer bei mir gehabt, hätte ich sie retten können, blitzte es in seinen Gedanken auf. Ein Gefühl von Verzweiflung und Hilflosigkeit, wie er es noch nie zuvor verspürt hatte, stieg in ihm auf, und er wollte sich sogleich in blinder Wut auf den verhassten Feind werfen, um den Tod der Frau zu rächen. Doch da fiel ihm eine kleine Gestalt in die Arme.
„Thor, nicht!“ drang wie aus weiter Ferne die Stimme von Loki an sein Ohr. „Bei allen Mächten der Welt, ich beschwöre dich, komm mit mir!“
„Lass mich los, ich werde ihn zermalmen!“ grollte Thor.
„Du bärtiger Narr!“ zischte Loki wütend. „Du wirst niemanden zermalmen können, ohne den Zermalmer! Schau nur, wir haben keine Chance! Ohne deinen Hammer werden sie uns vernichten!“ Und in der Tat sah man durch die dunstigen Rauchschwaden bereits weitere gewaltige schemenhafte Gestalten näherkommen. „Los du Donnertölpel, ich beschwöre dich bei Allvater Odin, lass uns hier verschwinden! Wenn wir hier sterben, ist diese Welt mit Sicherheit dem Untergang geweiht!“
Thor wandte den Kopf und starrte seinen Gefährten mit weit aufgerissenen Augen, in denen der nackte Wahnsinn stand, an. Loki zog und zerrte wie wild an seinem Arm, ohne ihn jedoch wirklich bewegen zu können, waren Thors Kräfte doch aufgrund des Gürtels zu stark für ihn. Im Kopf des Donnergottes überschlugen sich die Gedanken. Er hatte einen Menschen sterben sehen, eine Frau, die er mit Hilfe des Mjölnirs hätte retten können. Er wandte den Kopf und erblickte die bereits erschreckend nahen Riesen. Er empfand keine Furcht. Noch nie hatte er diese empfunden, schon gar nicht diesem ihm verhassten Volk gegenüber. Doch so sehr es ihn auch ärgerte, Loki hatte Recht. Sie hatten keine Chance, trotz seiner gewaltigen Kräfte. Und so folgte er seinem Gefährten schließlich, ließ das schauerliche Bild der Zerstörung und des Todes hinter sich, um mit Loki schnell wie der Wind in den Schatten der Nacht zu verschwinden. Spätestens jetzt war ihm die wahre Bedeutung des Verlustes klar geworden und wie wichtig es war, Mjölnir zurückzubekommen.

Fortsetzung folgt…
Endlich ist er da! Nach langer Überarbeitung. Der nächste Teil unserer Asgard-Saga.

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