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Der Verlust

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EINsamer-wANDERER's avatar
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"Sven, lauf nach draußen und bring das Vieh in den Stall! Ein Sturm zieht auf!"
Der kleine Sven warf sich rasch einen Umhang um die Schultern und verließ die Hütte, um der Aufforderung seiner Mutter zu folgen.
Als der blonde Junge die Tür hinter sich schloss und sein Blick gen Himmel schweifte, erschrak er. Im Osten ballten sich schwere, schwarze Gewitterwolken, die sich rasch näherten und von einem bedrohlichen, langsam aber stetig steigenden Donnergrollen begleitet wurden. Gerade in diesem Augenblick erhob sich eine leichte Brise, die jedoch eine unheilverkündende Spannung mit sich trug.
Sven eilte über den Hof und die Wiese hinauf zur Weide. Dort standen die Ziegen zitternd und eng aneinander gedrängt und gaben gequälte Laute von sich, während auch sie ihren ängstlichen Blick zum Himmel richteten.
Der Junge öffnete das Gatter und versuchte, die Tiere aus der Umzäunung hinaus und hinunter zum Hof zu treiben, was sich jedoch als weitaus schwieriger gestaltete, als er zuerst dachte. Anfangs wollten sich die Ziegen keinen Zentimeter bewegen. Sven lief um sie herum, wedelte mit einem Stock schrie, doch es half nichts. Die einzige Reaktion war hin und wieder ein verängstigtes "Bäääähhh!" Während dieser ganzen Zeit war der Wind immer stärker geworden und auch das Donnern hatte an Intensität zugenommen.
Dann konnte man den ersten grellen Blitz sehen, der den mittlerweile komplett schwarzen Himmel zu spalten schien, und fast augenblicklich ertönte ein krachender Donner. Dies wirkte auf die Tiere. Mit panischen Schreien brachen sie aus und verstreuten sich in alle Himmelsrichtungen. Der arme Sven versuchte vergeblich, sie zusammenzutreiben, was sich jedoch als unmöglich erwies. Nicht zuletzt war der Wind ein Grund dazu. Nun toste er schon mit orkanartigen Böen über das Land und in den nahegelegenen Wäldern erhob sich ein Rauschen und Brausen, dass dem Jungen Angst und Bange wurde.
Hilflos versuchte er, den Auftrag seiner Mutter zu erfüllen, doch er hatte nicht die geringste Chance. Als er, sich bereits gegen den Wind stemmend, verzweifelt zum Hof hinabsah, entdeckte er verschwommen die Gestalt seiner Mutter, die ihm heftig winkte.
Instinktiv wusste Sven, dass er sofort seiner Mutter folgen musste, oder er würde es nie mehr schaffen. Er rannte los.
Er hatte die Weide noch nicht mal verlassen, als der Regen einsetzte. Und nicht, wie gewöhnlich, zuerst leicht tröpfelnd und stetig an Intensität zunehmend. Vom einen auf den anderen Moment setzte ein gewaltiger Fluss ein, als würde der Himmel seine Schleusen öffnen und alle Wasser der neun Welten gleichzeitig entladen, und auch die Tropfen waren riesig im Vergleich zu normalem Regen.
Durch die dichten Sturzbäche hindurch konnte Sven plötzlich nichts mehr sehen und drohte, die Orientierung zu verlieren. Doch da war es ihm, als würde eine unsichtbare Hand ihn in eine bestimmte Richtung schieben. Und plötzlich fand die Hand seiner Mutter die Seine und zog und zerrte, bis er endlich in der trockenen Hütte war.
Sofort hatte seine Mutter ihn auf einen Sessel niedergedrückt und ihm eine dicke Decke um die Schultern geworfen.
"Ein schlimmer Sturm..." ertönte plötzlich die krächzende Stimme der alten Heidrun. Sie war Svens Großmutter, und jeder kannte sie eigentlich nur als die "Alte" Heidrun.
Heidrun wusste immer irgendwelche Geschichten zu erzählen. Meist erntete sie dann einen ärgerlichen Blick ihrer Tochter, doch das war der Alten egal.
"Mutter, fang bitte nicht wieder an..." begann Sven's Mutter, doch die Alte fuhr ihr energisch dazwischen.
"Was denn? Es ist nunmal so! Etwas Schreckliches wird passieren... Wer weiß? Vielleicht steht uns Ragnarök schon bevor? Thor jedenfalls scheint sich bereits auf eine Schlacht vorzubereiten... Der Donnergott ist erzürnt..."
Und während sie so in der Hütte saßen, ängstlich aneinander gekauert und immer wieder mal von Heidruns Schauergeschichten aufgeschreckt, schien außerhalb der Haustür tatsächlich bereits die letzte Schlacht angebrochen zu haben...

Andernorts: Asgard
Während in der Menschenwelt die Welt unterzugehen schien, erhob sich hinter den Mauern des sagenumwobenen Götterreiches und am anderen Ende des Regenbogens ein mächtiges und zornerfülltes Gebrüll. In Bilskirnir, dem gewaltigen Palast von Thrudheim, knallten donnernd die Tore auf, und heraus jagte ein Hüne mit flammend rotem Haar und Vollbart, sowie mit einer Figur, die seine gewaltigen Kräfte nur erahnen ließ und Augen, die zornerfüllte Blitze auszusenden schienen. Die gestaltgewordene Wut: Thor, der Donnergott.
"WO IST ER??? WER HAT ES GEWAGT? WO IST DER DIEB? ICH WERDE IHN ZERSCHMETTERN!" brüllte er so laut, dass selbst die Mauern von Gladsheim,  zu erzittern schienen. Drohend ballte er die Fäuste und niemand wagte sich in die Nähe, aus Angst, der wildgewordene Thor würde ihn erschlagen.
Da erklang Hufgetrappel, und Thor gewahrte durch den feurigen Schleier der Wut hindurch einen Reiter auf schimmernd weißem Rosse heransprengen, mit leuchtenden Augen, die die Weisheit der Welt verinnerlicht zu haben schienen. Es war Heimdall, sein göttlicher Bruder und Wächter über das Götterreich und die Himmelsbrücke.
Dieser zügelte sein Pferd, sprang herab und eilte auf Thor zu.
"Was ist denn passiert?" fragte er. "Du brüllst das ganze Götterreich zusammen! Selbst die Kelche in Walhalla haben gezittert! Allvater hat mich losgeschickt um zu sehen, was los ist."
"Mein Hammer..." stieß Thor unter zusammengepressten Zähnen hervor und es klang wie bedrohliches Donnergrollen vor einem Jahrhundertsturm, "Man hat mir meinen Hammer gestohlen."
Heimdalls Augen weiteten sich. "Den Mjölnir?" flüsterte er entsetzt. Thor nickte nur grimmig.
"Auf, komm mit zur Walhalla" rief Heimdall und winkte ihm ungeduldig. "Odin muss davon erfahren. Er wird wissen, was zu tun ist. Möge das Schicksal uns gnädig bleiben... Wenn der Donnergott seinen Hammer nicht mehr schwingt, so wird es bald schlimm um uns alle stehen!"
In Windeseile jagten sie nach Gladsheim, die breiten Stufen zum Palast hinauf und durch die langen Gänge, bis sich schließlich die Tore von Walhalla vor ihnen öffneten.
In dem gigantischen, goldglänzenden Saal, in dem Odin, der Göttervater, die Seelen der tapferen und verstorbenen Krieger um sich versammelte, saßen die Götter beisammen und hielten Rat. Aller Augen richteten sich voller Neugier nun auf Thor und Heimdall, die durch ewigen Reihen der Bänke auf den Thron des Allvaters zu eilten. Sofort verstummte jede Rede, und es wurde still.
Odin saß auf seinem Thron, erhaben und majestätisch mit dem schneeweißen Bart, der auf sein schlichtes, graues Gewand wallte und dem strahlenden Auge, das darüber leuchtete. Auf seiner Lehne saßen die beiden Götterraben, Hugin und Munin, und man glaubte fast, sie seien ohne Leben und ein Teil des Thrones selbst. Odin blickte nachdenklich zu Boden, doch als Heimdall und Thor vor ihm angelangt waren, sah er auf. Das strahlende Auge des Göttervaters blickte forschend über seine Söhne und verweilte lange auf dem Donnergott.
"Nun, was gibt es zu berichten?" fragte er schließlich mit ruhiger Stimme.
"Mein... mein Vater..." begann Heimdall stockend, "ich wage es kaum..." Odin blickte ihn durchdringend an.
"Mein Sohn, so sprich" sagte er. "Noch nie ist es geschehen, dass du gezögert hast! Sag mir, was ist geschehen?"
Da konnte sich Thor nicht länger zurück halten.
"Man hat mir meinen Hammer gestohlen!" grollte er fürchterlich durch den Saal und alle Anwesenden zuckten zusammen. Sofort hob ein bestürztes Flüstern und Murmeln an. Die mächtigste Waffe der Götter in ihrem immerwährenden Kampf gegen die bösen Mächte war verschwunden! Odin hob die Hand und gebot um Stille. Dann richtete sich das Licht seines Auges durchdringend auf Thor.
"Du sagst, der Mjölnir ist gestohlen worden?" Thor nickte in stummen Grimm.
"Mein Vater" meldete sich nun Heimdall zu Wort, "Was soll denn nun geschehen? Ohne den Hammer werden wir es schwer haben, die Feinde von Asgard fernzuhalten! Wir haben Grund zu der Annahme, dass die Riesen wieder einen Schlag gegen uns oder die Menschenkinder vorhaben! Wie sollen wir uns ohne Mjölnirs Kraft gegen die Feinde behaupten? Gerade jetzt sind die Menschen auf den Schutz von Midgards Wehr angewiesen!"
Wieder hob ein aufgeregtes Murmeln im Saal an. "Was sollen wir nun tun?" sagte der Eine. "Ohne den Zermalmer sind wir doch nur halb so stark" sagte der Andere. Oder auch "Wehe uns, wenn der Feind uns angreift!"
"He, wo ist eigentlich Loki?" rief Tyr, der einarmige Kriegsgott in diesem Moment. "Warum ist er denn nicht hier? Sollte er vielleicht etwas damit zu tun haben?"
Als Thor dies hörte, knallte er die Faust auf den Tisch, dass es dröhnte. Die Wut in seinem Inneren brannte wie Feuer und schien jegliche Vernunft auszuschließen. Aus seinen Augen schossen flammende Blitze hervor.
"Loki, natürlich! Er wird ihn mir gestohlen haben! Vielleicht sitzt er nun schon mit dem Hammer bei den Riesen und sie lachen über uns! Dieser Ränkeschmied, wenn ich ihn in die Finger bekomme! Ich werde ihn zermalmen, ich werde..."
"STILLE!" rief Odin mit durchdringender, kraftvoller Stimme, und sein schneeweißer Bart zuckte. Augenblicklich verstummten alle, und selbst Thor vergaß für einen Moment seine Wut.
"Loki ist unschuldig" sagte der Göttervater ruhig aber bestimmt. "Er wandert gerade im Glasirwald, wie mir eben meine treuen Raben berichtet haben. Aber ich werde nach ihm schicken. Loki soll uns mit klugem Rat zur Seite stehen. Thor, mein Sohn, zügle deinen Zorn noch, bis wir Lokis Rat gehört haben. Du wirst ihn nicht anrühren, wenn er hier erscheint!" Damit erhob er die Hand und winkte. Da kam plötzlich Leben in die beiden Raben. Sie schüttelten ihr Gefieder, erhoben sich in die Luft und verschwanden krächzend in der Ferne.
Thor blickte den beiden finster nach. Er sollte seinen Zorn zügeln? Loki, den listenreichen Ränkeschmied ungeschoren davonkommen lassen? Grimmig knirschte er mit den Zähnen und ballte die Fäuste, dass die Finger knackten. Er hatte diesem zwielichtigen Kerl noch nie vertraut. Mehr als einmal hätte Thor liebend gerne seinen Hammer an Loki versucht, doch immer hatte diesen das schiere Glück oder Odin selbst davor bewahrt, zermalmt zu werden. Jedoch war der Zermalmer das Einzige, was Loki fürchtete. Thor traute es ihm durchaus zu, den Hammer gestohlen zu haben. Doch er würde tun müssen, was Odin befohlen hatte, wollte er seinen Vater nicht verägern. Und so wartete er stumm und finster brütend, während die anderen Anwesenden wieder in eine angeregte Diskussion verfielen, welch finsteren Zeiten Asgard ohne den Schutz von Mjölnir, dem Zermalmer, entgegensehen mochte.

Fortsetzung folgt…
Hier einmal ein Gruppenprojekt von Ragin-der-Skalde und mir von der Seite geschichten123.de
www.geschichten123.de/
Jeder von uns beiden hat seinen Helden, und einzig und alein aus seiner Perspektive wird die Geschichte erzählt. Ragin hat Thor und ich Loki, den großen Gott des Feuers!
Hoffe es gefällt euch. Kritik werde ich weitergeben.

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Tera-zuma's avatar
Ich muss zugeben, ich war neugierig und diese Story über Mjölnir sprang mir sofort ins Auge.^^

Zuerst einmal fiel mir beim Lesen die wirklich gute Rechtschreibung auf. Doch das ist nicht alles. Es liest sich leicht und flüssig. Vor allem die Begebenheiten in der 'Menschenwelt' fand ich packend und anschaulich beschrieben. Ein wirklich guter Einstieg.

Gleich eine Frage zu Anfang: Ihr habt diese Story ja zu zweit geschrieben. Habt ihr euch auch dieses Kapitel bereits geteilt?
Ich frage nur deshalb, weil mir eben zwischen dem ersten Teil der 'Menschenwelt' und dem zweiten Teil in Asgard doch ein gewisser Unterschied aufgefallen ist. Das kann aber auch daran liegen, dass im zweiten Teil mehr Dialoge vorkamen. (Und es wirkt wirklich so, als hätte jemand anderer die Dialoge geschrieben. Besonders Thor und Heimdall.)

Ich weiß zwar nicht wann ich zum Weiterlesen komme, aber wenn, werde ich es natürlich ebenfalls kommentieren. ^^